(zurück zum vorherigen Teil)
Dann erinnerte ich mich daran, mit welchen Riesenschritten man in der Behandlung von Alterskrankheiten vorankam; man sprach bereits davon, dass hundertzwanzig Jahre als erreichbare »normale« Lebensdauer gelten dürften. Vielleicht musste ich hundert Jahre schlafen. Ich wusste nicht einmal, ob irgendeine Versicherungsgesellschaft so viel anbot.
Dann hatte ich eine teuflisch gute Idee, eingegeben vom warmen Glühen des Scotch. Ich brauchte ja gar nicht zu schlafen, bis Belle tot war. Es war mehr als ausreichend und genau die passende Rache gegenüber einer Frau, jung zu sein, wenn sie schon alt war. Gerade um so viel jünger, dass man es ihr unter die Nase reiben konnte – sagen wir, ungefähr dreißig Jahre.
Ich spürte einen sanften Pfotendruck auf meinem Arm. »Meerr!«, erklärte Pete.
»Gieriger Kerl«, sagte ich und füllte seine Untertasse wieder mit Gingerale. Er bedankte sich mit höflichem Nicken.
Aber er hatte meine angenehm bösen Gedanken unterbrochen.
Was, zum Teufel, sollte ich mit Pete anfangen?
Man kann eine Katze nicht fortgeben wie einen Hund; sie lassen sich das nicht gefallen. Manchmal gehen sie mit dem Haus auf einen anderen Besitzer über, aber bei Pete war das hinfällig. Für ihn stellte ich das einzig Konstante in einer wechselhaften Welt dar, seit man ihn vor neun Jahren seiner Mutter weggenommen hatte … Es war mir sogar gelungen, ihn beim Militärdienst in der Nähe zu haben.
Er war bei guter Gesundheit. Daran würde sich auch nicht viel ändern, wenn seine Narben den ganzen Körper bedeckten. Ohne die fatale Neigung, ständig mit der Rechten zuzuschlagen, würde er mindestens die nächsten fünf Jahre hindurch noch Schlachten gewinnen und Nachkommen in die Welt setzen können.
Ich hätte ihn in einem Tierheim pflegen – undenkbar! – oder einschläfern lassen können – ebenso undenkbar!
Oder ich könnte ihn einfach im Stich lassen.
Darauf läuft es bei einer Katze immer hinaus: entweder man bleibt eisern dabei, oder man setzt das arme Wesen aus, lässt es verwildern und zerstört seinen Glauben an die ewige Rechtschaffenheit aller Dinge.
Wie Belle es bei mir getan hatte.
Also dann, mein Junge, vergiss das möglichst schnell. Dein eigenes Leben kann so verpfuscht sein, wie du willst, das entlässt dich keineswegs aus deinem Vertrag mit dieser verzogenen Katze.
Gerade als ich bei dieser philosophischen Wahrheit angelangt war, nieste Pete. Die Kohlensäure war ihm in die Nase gestiegen. »Gesundheit«, erwiderte ich, »und sauf gefälligst nicht so schnell.«
Pete beachtete mich nicht. Seine Tischsitten waren im Großen und Ganzen weit besser als meine, und das wusste er ganz genau. Unser Kellner hatte sich an die Registrierkasse gelehnt und sich mit dem Kassierer unterhalten.
Es war die ruhige Zeit nach dem Mittagessen, und wenige Gäste saßen in der Bar. Der Kellner hobden Kopf, als ich »Gesundheit« sagte, und murmelte dem Kassierer etwas zu. Sie sahen beide zu uns herüber, dann öffnete der Kassierer die Klapptür in der Thekeund kam auf uns zu.
»Abtauchen, Pete«, flüsterte ich.
Er schaute sich um und verschwand in der Tasche.
Ich drückte sie oben zusammen. Der Kassierer kam heran und beugte sich über meinen Tisch, wobei er hastig die Sitze in Augenschein nahm. »Tut mir leid«, sagte er tonlos, »aber die Katze müssen Sie fortschaffen.«
»Welche Katze?«
»Die Sie eben aus der Untertasse gefüttert haben.«
»Ich sehe keine Katze.«
Diesmal bückte er sich und schaute unter den Tisch.
»Sie haben sie in der Tasche versteckt«, beschuldigte ermich.
»Tasche? Katze?«, sagte ich staunend. »Mein lieber Freund, ich glaube, Sie haben Halluzinationen.«
»Was? Lassen Sie das Gerede. Sie haben eine Katze in dieser Tasche. Machen Sie sie auf.«
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
»Was? Ach, machen Sie sich doch nicht lächerlich.«
»Sie machen sich lächerlich, wenn Sie in meiner Tasche kramen wollen, ohne einen Durchsuchungsbefehl zu haben. Vierter Verfassungszusatz – und der Krieg ist seit Jahren vorbei.
Nachdem also das geregelt wäre, sagen Sie bitte dem Kellner, dass er dasselbe noch einmal bringen soll – oder holen Sie es selber.«
Er machte ein leidendes Gesicht. »Mein Herr, ich meine es nicht persönlich, aber ich muss schließlich an meine Lizenz denken. ›Keine Hunde, keine Katzen‹ – dort oben an der Wand hängt das Schild. Wir bemühen uns, ein sauberes Lokal zu führen.«
»Dann hat sich die Mühe aber schlecht gelohnt.« Ich nahm mein Glas vom Tisch. »Sehen Sie die Lippenstiftspuren? Sie sollten sich lieber um Ihren Tellerwäscher kümmern, anstatt Ihre Gäste zu durchsuchen.«
»Ich sehe keinen Lippenstift.«
»Weil ich das meiste schon abgewischt habe. Aber gehen wir doch zum Gesundheitsamt, und lassen wir eine Bakterienprüfung machen.«
Er seufzte. »Haben Sie einen Dienstausweis?«
»Nein.«
»Dann sind wir quitt. Ich durchsuche Ihre Tasche nicht, und Sie gehen nicht zum Gesundheitsamt. Wenn Sie noch etwas trinken wollen, dann bitte an der Bar … das Haus bezahlt. Aber nicht hier.« Er drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Ich zuckte die Achseln. »Wir wollten sowieso gerade verschwinden.«
Als ich am Kassierer vorbeikam, hob er den Kopf.
»Sie tragen mir nichts nach?«
»Nein. Aber ich wollte eigentlich später mein Pferd zu einem kleinen Drink hereinbringen. Jetzt denke ich nicht mehr daran.«
»Wie Sie wollen. Von Pferden steht nichts auf dem Schild. Aber noch eine Frage – trinkt die Katze wirklich Gingerale?«
»Vierter Verfassungszusatz, haben Sie’s vergessen?«
»Ich will das Tier nicht sehen. Ich möchte nur Bescheid wissen.«
»Tja«, gestand ich, »er mag es zwar lieber mit einem Spritzer Bitters, aber wenn es sein muss, trinkt er es auch pur.«
»Schlecht für die Nieren. Schauen Sie einmal dort hinauf.«
»Wohin?«
»Lehnen Sie sich zurück, so … Jetzt schauen Sie an die Decke über den Nischen … die Spiegel oben in der Dekoration. Ich wusste, dass Sie eine Katze bei sich hatten, weil ich sie sehen konnte.«
Ich lehnte mich zurück. Die Decke des Lokals war mit billigem Zierrat geschmückt, einschließlich zahlreicher Spiegel. Ich entdeckte jetzt, dass einige davon, in der Dekoration versteckt, so angebracht waren, dass der Kassierer sie als Periskope benützen konnte, ohne seinen Platz zu verlassen. »Das ist nötig«, meinte er entschuldigend. »Sie wären schockiert, wenn Sie wüssten, was oft in diesen Nischen vor sich geht … wenn wir die Leute nicht im Auge behielten. Eine traurige Welt.«
»Und ob.« Ich ging hinaus.
Im Freien öffnete ich die Tasche und trug sie an einem Griff. Pete steckte den Kopf heraus. »Du hast
gehört, was der Mann gesagt hat, Pete. ›Eine traurige Welt.‹ Mehr als traurig, wenn zwei Freunde nicht einmal mehr in aller Ruhe einen heben können, ohne gleich bespitzelt zu werden. Das schlägt dem Fass den Boden aus.«
»Naoow?«, fragte Pete.
»Wenn du meinst. Es hat eigentlich keinen Sinn, noch lange herumzugrübeln, wenn wir es tun wollen.«
»Naow!«, erklärte Pete nachdrücklich.
»Einstimmig angenommen. Drüben auf der anderen Straßenseite.«
Die Empfangsdame der Mutual-Versicherungsgesellschaft war ein wunderbares Beispiel für die Schönheit von Zweckkonstruktionen. Trotz einer Stromlinienform, die vielleicht für vierfache Schallgeschwindigkeit gereicht hätte, stellte sie frontmontierte Radargehäuse und alles andere aus, was sie für ihre Aufgabe brauchte.
Ich rief mir ins Gedächtnis, dass sie eine uralte Dame sein würde, bis ich wieder herauskäme, und erklärte ihr, dass ich einen Verkäufer zu sprechen wünschte.
»Nehmen Sie bitte Platz. Ich werde nachsehen, ob einer unserer Kundendienstleiter frei ist.« Bevor ich mich hinsetzen konnte, setzte sie hinzu: »Unser Mr. Powell wird Sie empfangen. Kommen Sie bitte mit.«
Unser Mr. Powell benützte ein Büro, das verriet, über welch gesunde finanzielle Grundlage die Mutual verfügte.
Er gab mir eine feuchte Hand, drückte mich auf einen Stuhl, bot mir eine Zigarette an und versuchte mir die Tasche abzunehmen. Ich ließ sie nicht los. »Wie könnenwir Ihnen behilflich sein, Sir?«
»Ich möchte den Langen Schlaf.«
Seine Brauen schossen in die Höhe, und sein Benehmen verriet sofort großen Respekt. Zweifellos würde die Mutual für sieben Dollar einen Werbespruch schreiben, aber der Lange Schlaf ließ die gesamte Habe eines Klienten in ihre Klauen geraten. »Eine sehr weise Entscheidung«, sagte er ehrfürchtig. »Ich wäre froh, wenn ich ebenfalls dazu in der Lage wäre. Aber … die Verantwortung für eine Familie, wissen Sie.« Er nahm ein Formblatt vom Schreibtisch. »Schlafklienten haben es meist sehr eilig. Ich möchte Ihnen Zeit und Mühe sparen helfen, indem ich das für Sie ausfülle … und Ihre Untersuchung werden wir sofort veranlassen.«
»Einen Augenblick.«
»Wie?«
»Eine Frage. Sind Sie in der Lage und willens, den Kälteschlaf für eine Katze zu arrangieren?«
Ich machte die Tasche auf; Pete steckte den Kopf heraus.
»Darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen? Beantworten Sie bitte meine Frage. Wenn die Antwort Nein lautet, möchte ich zur Central Valley Liability. Diese Gesellschaft hat ihre Büroräume doch im selben Haus, nicht wahr?«
Diesmal war er entsetzt. »Mister … ich habe Ihren werten Namen nicht verstanden.«
»Dan Davis.«
»Mr. Davis, sobald jemand hier eintritt, befindet er sich unter dem wohlwollenden Schutz der Mutual. Ich kann Sie nicht zur Central Valley gehen lassen.«
»Wie wollen Sie denn das verhindern? Können Sie Judo?«
»Ich bitte Sie!« Er sah sich nervös um. »Unsere Gesellschaft ist eine ethische Firma.«
»Die Central Valley etwa nicht?«
»Das haben Sie gesagt, nicht ich. Mr. Davis, ich möchte Sie nicht beeinflussen.«
»Das wird Ihnen auch kaum gelingen.«
»… aber beschaffen Sie sich von jeder Gesellschaft Musterverträge. Nehmen Sie einen Anwalt, besser noch: einen lizenzierten Semantiker. Prüfen Sie, was wir anbieten, und vergleichen Sie es mit dem, was Central Valley behauptet, offerieren zu können.« Er schaute sich wieder um und rückte näher heran. »Ich darf das eigentlich gar nicht weitersagen – ich hoffe, dass Sie es für sich behalten –, aber dort benützt man nicht einmal die üblichen Tabellen.«
»Vielleicht kommt das dem Kunden zugute.«
»Wie? Mein lieber Mr. Davis, wir bringen den gesamten Vermögenszuwachs zur Ausschüttung. Das verlangt unsere Satzung … während Central Valley eine Aktiengesellschaft ist.«
Wer wissen will, wie die Geschichte dieser Leseprobe weitergeht kann das Buch über einen unserer Bestellinks ordern oder durch das Klicken auf das Cover:
Robert A. Heinlein: Die Tür in den Sommer
Originaltitel: The Door into Summer (1957).
Deutsche Übersetzung von Tony Westermayr.
München: Verlagsgruppe Random House 2016.
Heyne Taschenbuch 31739.
304 Seiten. 8,99 Euro.
Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München, unter Verwendung eines Motivs von Markus Gann/Shutterstock.
ISBN 9783453317390
Das Original stammt aus dem Jahr 1957 und erschien 1963 erstmals in deutscher Übersetzung beim Goldmann Verlag, wo es die ein oder andere Neuauflage erlebte. Dreißig Jahre später wurde das Buch dann bei Bastei publiziert und nun, 2016, ist Heinleins vielleicht anerkanntester und lesbarster “Erwachsenenroman” auch zum ersten Mal Bestandteil der großen Heyne Science-Fiction-Reihe geworden. Glückwunsch!
Für viele Kenner und Kritiker ist The Door into Summer auch vor allem deshalb der beste Heinlein (für Erwachsene), weil in ihm fast alle typischen intoleranten, faschistoiden, militaristischen und chauvinistischen Gedanken und Sichtweisen fehlen, die Heinleins Werke ansonsten dem Rezipienten oft sauer aufstoßen lassen. Nur selten finden sich hier Seitenhiebe auf “…die meisten langhaarigen Fasler…” (Seite 303) oder ähnliche humanistische oder liberale “Gefühlsduseleien” (wie sich der strenge, unnachgiebige und hart rechtsgerichtete Autor wohl unempathisch ausgedrückt hätte).
In diesem Roman wird einfach eine intelligente, spannende und höchst clever geplottete Geschichte konsequent und nahezu reibungslos durcherzählt.
Berichtet wird von einem Ingenieur namens Daniel Boone Davis (meist nur D. B. oder Dan genannt), der tolle Ideen für alle möglichen technischen Haushaltsgeräte hat und aus diesen wunderbare Roboter entwickelt, welche die Hausfrauen dieser Welt entlasten sollen. Denn auch im Jahre 1970 (immerhin vom Autor aus 13 Jahre in der Zukunft!) sind die langweiligen und stupiden Tätigkeiten eine Qual.
Leider hintertreibt Dans Geliebte, die intrigante Belle (in den früheren Übersetzungen des gleichen Übersetzers Tony Westermayr hieß sie noch Betty; die aktuelle Übersetzung weist auch sonst einige kleinere Korrekturen jenseits der neuen Rechtschreibung auf), die auch Sekretärin der kleinen Firma ist, Dans Erfolg. Zusammen mit Dans Partner kapert sie das Unternehmen und lässt den armen Ingenieur per Hypnosedroge und anschließendem Kälteschlaf 30 Jahre in die Zukunft schicken.
Doch Dan erkennt bald, welch grandiose Chance ihm dies bietet, denn er erfährt von einem neuen Freund von einem ungeheuerlichen Geheimnis…
Auch wenn die Figur des intriganten Weibchens fast zu gallig ausfällt (und Dans Katze den anderen menschlichen Protagonisten die Show stiehlt) und Heinlein seine Vorliebe für Nudismus plakativ im Roman auftauchen lässt, ist Die Tür in den Sommer noch immer pures Lesevergnügen und wimmelt von lockeren und intelligenten technischen Schilderungen und Ideen, die der Autor auch dem Laien glaubhaft und sehr lebenspraktisch veranschaulicht. Sogar “Technikmuffel” müssen hier den Hut ziehen.
In diesem Werk findet sich noch die für die 50er Jahre typische ungebrochene Hoffnung auf eine glorreiche Zukunft für eine technikaffine Menschheit, der die neuen Entwicklungen die tägliche unnütze Schufterei abnehmen. Wenige Romane aus dieser Zeit transportieren diesen Zeitgeist so lebendig, perfekt und bunt wie dieses Buch.
Nach The Red Planet (dt. u. a. Der rote Planet) ist deshalb dieses Buch Heinleins möglicherweise zweitbester Roman (wenn man auch zugeben muss, dass die zusammengestellten Geschichten aus Heinleins “Future History” sicherlich mehr intellektuelle Substanz und Tiefe haben), auch wenn andere Romane von ihm bekannter und vielleicht beliebter sind.
Da diese jedoch durchgängig von des Autors streng intoleranter, oft menschenverachtender Weltsicht geprägt und kontaminiert sind und an vielen Stellen mehr als nur Unbehagen beim aufgeklärten Leser hinterlassen (besonders fällt dies bei Starship Troopers, Farnhams Freehold und Stranger in a Strange Land auf, wo Menschenleben und Individualität gezielt verächtlich gemacht und vernichtet, Toleranz, Empathie und Mitmenschlichkeit als schwach verleumdet und lächerlich gemacht werden), ist gerade das vorliegende Buch für viele Kritiker eine wohltuende Erholung vor Heinleins sonstigen Tiraden. Dies und die spannende, sehr gut ausgedachte Geschichte in Verbindung mit Heinleins mitreißendem Stil und den überzeugenden Charakteren, sichert The Door into Summer einen Platz im Olymp der SF-Literatur.